Sprechen wir über die Kapazitätsverordnung für die Schiene

Die Schiene stößt an ihre Kapazitätsgrenzen, gleichzeitig soll mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden. Wie kann ein neues europäisches Kapazitätsmodell dazu beitragen, bestehende Kapazitäten besser zu nutzen und den grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr zu attraktiveren?

Wichtige Zahlen auf einen Blick

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des Güterverkehrs in der EU laufen über die Straße

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Schienenanteil an den verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen (EU 2020)

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weniger Emissionen im Verkehrssektor bis 2050 (EU-Ziel)

Hintergrundinfos

Der Schienenverkehr ist ein zentraler Hebel für eine klimafreundliche Mobilität in Europa. Durch zusätzliche Kapazitäten könnten jährlich rund 250 Millionen Zugkilometer mehr gefahren werden – ein erwarteter Anstieg des Eisenbahnverkehrs um 4 %. Schon heute ist die Bahn eines der umweltfreundlichsten Verkehrsmittel: Im Jahr 2020 verursachte der Schienenverkehr lediglich 0,4 % der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen in der EU. Um das Klimaziel der Europäischen Union zu erreichen – eine Reduktion der Emissionen im Verkehrssektor um 90 % bis 2050 – braucht es eine konsequente Verlagerung von Gütern und Personen auf die Schiene. Der Handlungsbedarf ist groß: Aktuell werden noch immer 75 % des Binnengüterverkehrs auf der Straße transportiert.

Ziel des Vorschlags für eine neue Verordnung ist es, die Nutzung der bestehenden Schieneninfrastruktur zu optimieren und den grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr zu erleichtern, indem die Effizienz, Transparenz und Fairness bei der Vergabe von Schienenkapazitäten verbessert wird. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen dazu beitragen, Platz für die Verkehrsverlagerung auf die Schiene zu schaffen und so die Klimaziele der Europäischen Union zu erreichen sowie die Dekarbonisierung im Verkehrssektor voranzutreiben.

Die Kapazitätsvergabe ist derzeit komplex und intransparent. Sie wird durch uneinheitliche nationale Regelungen und mangelnde Koordination zwischen den Infrastrukturbetreibern noch zusätzlich erschwert. Zu den Herausforderungen für den grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr gehören die langfristige Fahrplanerstellung, die Beantragung passender Trassen, Kosten durch Trassenausfälle und höhere Trassenentgelte im Vergleich zu Straßennutzungsgebühren. Dies führt dazu, dass er mit hohen administrativen Hürden konfrontiert ist und Kapazitäten nicht optimal genutzt werden können.

Die Kapazitätsvergabe ist auch deshalb vielschichtig, weil Personen- und Güterverkehr unterschiedliche Anforderungen an Fahrpläne stellen. Eine langfristige Fahrplanerstellung, die im Personenverkehr erwünscht ist, verhindert eine flexible Anpassung an aktuelle Marktbedürfnisse im Güterverkehr, wo Kund*innen vermehrt Just-In-Time-Lieferungen wünschen. Die Vergabe von Trassen erfolgt oft mit großem Vorlauf, sodass kurzfristige Änderungen, etwa aufgrund von Baustellen oder unerwarteten Verspätungen, schwer umsetzbar sind. Dadurch entstehen Engpässe und Ineffizienzen, die den Schienengüterverkehr unattraktiver machen. Im intermodalen Güterverkehr sind Schienengüterverkehrsunternehmen zudem von vorgegebenen Slots in Endterminals anderer Akteur*innen abhängig, welche wesentliche Elemente bei der Planung darstellen.

Die fehlende Harmonisierung digitaler Systeme führt dazu, dass Kapazitätsmanagement-Tools in den verschiedenen Ländern nicht vollständig kompatibel sind. Wichtige Informationen zu verfügbaren Trassen, Baustellen oder Preisen sind oft nicht in Echtzeit verfügbar, wodurch Planungsprozesse erschwert werden.

Der Kommissionsentwurf für eine Kapazitätsverordnung sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, um die Nutzung der Schieneninfrastruktur effizienter, transparenter und fairer zu gestalten: 

  • Generelle Prinzipien für ein unparteiliches Infrastrukturmanagement, bei dem nach einheitlichen und transparenten Kriterien gehandelt werden soll, ohne einzelne Eisenbahnunternehmen zu bevorzugen 
  • Allgemeine Regeln für das Kapazitätsmanagement in drei Phasen, von (I) strategischer Planung über (II) Fahrplanerstellung und Zuweisung bis hin zu (III) Anpassung und Neuplanung 
  • Verpflichtung in einem Europäischen Netz der Infrastrukturmanager (ENIM) gemeinsam einen europäischen Rahmen für Kapazitätsmanagement zu entwickeln, insbesondere mit Blick auf den Umgang mit knapper Fahrwegkapazität und Kapazitätseinschränkungen 
  • Einführung eines verbesserten digitalen Kapazitätsmanagements, um allen Marktteilnehmer*innen den Zugang zu relevanten Daten zu ermöglichen und die Planbarkeit und Verlässlichkeit des Schienenverkehrs zu verbessern. 

Ein Schwerpunkt der Verordnung ist die Förderung der Transparenz bei der Kapazitätsvergabe, indem Regeln und Entscheidungsprozesse für die Trassenvergabe nachvollziehbarer gestaltet werden. Dabei soll der neue europäische Rahmen für das Kapazitätsmanagement helfen, der einheitliche Prinzipien, Regeln und Leitlinien für eine effizientere Trassennutzung vorgibt.

Um den Schienenverkehr praxisnah zu gestalten, sieht die Verordnung eine stärkere Einbindung der Stakeholder vor. Eisenbahnunternehmen und andere betroffene Akteur*innen sollen frühzeitig in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Ergänzend dazu soll die Harmonisierung des europaweiten Fahrplansystems helfen, einheitliche Zeitfenster für den internationalen Schienenverkehr festzulegen, um die Abstimmung zwischen Ländern zu verbessern und Engpässe zu reduzieren.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Regelung einheitlicher Konditionen für gegenseitige Kompensationszahlungen. Klare Vorgaben für Entschädigungen bei Trassenausfällen sollen finanzielle Nachteile für Eisenbahnunternehmen minimieren und eine gerechtere Nutzung der Infrastruktur ermöglichen. Parallel dazu wird eine Harmonisierung der Trassenpreise angestrebt, um sicherzustellen, dass Schienennutzer*innen nicht durch hohe Entgelte benachteiligt werden, während der Straßenverkehr oft unter günstigeren Bedingungen operiert.

Ein bedeutender Schritt ist die Einführung eines digitalen Kapazitätsmanagement-Tools, das Echtzeitdaten zu verfügbaren Trassen, Baustellen und Preisen bereitstellen soll. Dies soll die Effizienz des Schienennetzes erheblich steigern und die Planungsprozesse für Unternehmen erleichtern. Zudem soll die Verordnung nationale Insellösungen vermeiden und bestehende digitale Systeme harmonisieren, um den Datenaustausch zwischen verschiedenen Infrastrukturbetreibern zu verbessern und ein einheitliches europäisches System zu schaffen.

In den seit November 2024 laufenden Trilog-Verhandlungen geht es darum, einen Kompromiss zwischen den Positionen von EU-Parlament, Rat und Kommission zu finden. Während das Parlament auf verbindliche Vorgaben zur Stärkung des Schienenverkehrs drängt, plädiert der Rat tendenziell für mehr Spielraum für die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung. Das gilt beispielsweise bei der Verbindlichkeit der Ziele zur Verkehrsverlagerung und bei der Frage, wie rasch und einheitlich die Digitalisierung des Kapazitätsmanagements tatsächlich umgesetzt wird. Das Parlament legt zudem Wert auf eine stärkere Einbindung der Eisenbahnunternehmen in die Kapazitätsplanung über ein separates Gremium, was weder Ratsposition noch Kommissionsvorschlag vorsehen.

Forderungen

Die Wiener Stadtwerke begrüßen den Vorschlag der EU-Kommission zur Nutzung von Fahrwegkapazitäten der Eisenbahn, da er den Zugang zur europäischen Schieneninfrastruktur erleichtert. Die vorgeschlagenen Maßnahmen, insbesondere zur Unparteilichkeit des Infrastrukturmanagements, zur verbesserten Kapazitätsinformationsbereitstellung, und zu einheitlichen Kompensationszahlungen sowie erhöhter Transparenz bei Kapazitätsvergaben, sind wichtige Schritte, um den Schienengüterverkehr zu stärken. Allerdings bleibt Optimierungspotenzial, insbesondere bei der Einbindung der Eisenbahnunternehmen, der Harmonisierung von Entschädigungsregelungen und der Ausgestaltung des digitalen Kapazitätsmanagements.

Die Eisenbahnunternehmen sind direkt von der Kapazitätsvergabe betroffen und verfügen aufgrund ihrer Beziehungen zu den Kund*innen über wertvolle Marktkenntnisse. Dennoch ist ihre Beteiligung in der Verordnung nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere bei der Ausgestaltung des europäischen Rahmens für Kapazitätsmanagement sollten Eisenbahnunternehmen standardmäßig und nicht nur bei Bedarf konsultiert werden. Dies gilt insbesondere für die Phase der strategischen Kapazitätsplanung. Eine stärkere Einbindung ist notwendig, um eine ganzheitliche Marktsicht in das Kapazitätsmanagement einzubringen und realitätsnahe Planungsgrundlagen zu schaffen.

Aktuell sind nur das Netzwerk der Aufsichtsbehörden (ENRRB) und Infrastrukturmanager*innen (ENIM) in die Gestaltung der Kompensationszahlungen eingebunden. Damit fehlt eine faire Berücksichtigung der Antragsteller*innen, die im Fall von Trassenausfällen finanzielle Einbußen hinnehmen müssen. Eine direkte Einbeziehung der Eisenbahnunternehmen und anderer Antragssteller*innen ist notwendig, um eine ausgewogene und gerechte Regelung zu gewährleisten.

Die Vereinheitlichung digitaler Systeme ist ein wichtiger Schritt zur Vermeidung nationaler Insellösungen und zur besseren Abstimmung grenzüberschreitender Baustellenführungen. Bestehende, gut funktionierende Systeme sollten als Ausgangspunkt genutzt werden, um eine möglichst effiziente Lösung zu entwickeln. Die wichtigsten Anforderungen aus Nutzer*innensicht sind:  

  • Verlässliche Informationen zu Abfahrtszeiten, Baustellen und Preisen 
  • Berücksichtigung von Unwägbarkeiten
  • Transparente Begründung für die Nichtverfügbarkeit von Trassen. 

Da die Effektivität digitaler Anwendungen maßgeblich von deren Qualität und Funktionalität abhängt, sollten User*innen aktiv in die Entwicklung des Tools eingebunden werden. Die Wiener Stadtwerke stellen sich hierfür gerne als Tester*innen zur Verfügung.