Friedhöfe sind vor allem Orte der Erinnerung und des Gedenkens. Doch eine Studie des Austrian Institute of Technology (AIT) zeigt, dass sie weit mehr sind: Friedhöfe haben das Potenzial, als „natürliche Klimaanlagen“ zu fungieren. Sie tragen dazu bei, Städte zu kühlen, speichern Regenwasser und verbessern das Mikroklima in ihrer Umgebung.
Die Studie verwendet das Mikroklimamodell ENVI-met, um das Mikroklima auf zwei Wiener Friedhöfen – Meidling und Sievering - und umliegenden Straßen zu simulieren. ENVI-met bietet detaillierte Daten für verschiedene stadtplanerische Anwendungen, wie thermische Behaglichkeit, urbane Hitzeinseln und die Auswirkungen von Vegetation. Das Modell analysiert Wechselwirkungen zwischen Gebäuden, Oberflächen und Pflanzen und berücksichtigt Strahlungsflüsse, Transpiration, Verdunstung und sensible Wärmeströme.
Für die Studie wurden Szenarien erstellt, um den Einfluss der Friedhöfe Meidling und Sievering auf das umliegende Mikroklima zu quantifizieren. Dazu gehören ein moderates und ein maximales Begrünungs- und Entsiegelungsszenario sowie ein „Worst-Case“-Szenario mit nahezu vollständiger Versiegelung und Rodung des Baumbestands.
Städte sind aufgrund ihrer dichten Bebauung und versiegelten Flächen besonders stark von Hitze betroffen. Beton, Asphalt und Gebäude speichern die Wärme des Tages und geben sie nachts nur langsam wieder ab. Dieser Effekt, bekannt als „urbane Hitzeinsel“, führt dazu, dass es in Städten oft mehrere Grad wärmer ist als in ländlichen Gebieten.
Friedhöfe hingegen bestehen überwiegend aus Grünflächen, wodurch sie sich weniger aufheizen und nachts schneller abkühlen. Laut der AIT-Studie tragen Friedhöfe genau deswegen zur Abkühlung urbaner Gebiete bei. Durch die minimale Versieglung heizen sie sich weniger auf und geben nachts schneller Wärme ab. Im Vergleich zu bebauten Stadtvierteln sind sie im Durchschnitt 0,8 bis 1,5°C kühler. In schattigen Bereichen, etwa unter Bäumen oder auf begrünten Flächen, wurden sogar Temperaturunterschiede von bis zu 3°C gemessen. Simulationen des Friedhofs Meidling zeigen zudem, dass die Temperatur im Bereich des Waldfriedhofs um 3,5°C niedriger ist als im aktuellen Zustand. Diese Abkühlung wirkt sich nicht nur lokal aus, sondern beeinflusst auch das umliegende Stadtklima positiv.
Besonders in heißen Sommernächten kann diese Abkühlung eine spürbare Entlastung für die Bevölkerung sein. Menschen, die in der Nähe von Friedhöfen wohnen, profitieren direkt von der niedrigeren Temperatur, da sich der Kühleffekt auf die Umgebung ausbreitet.
Neben Hitze sind auch zunehmende Starkregenereignisse eine Herausforderung für Städte. Durch die zunehmende Versiegelung von Flächen kann Regenwasser nicht mehr in den Boden versickern und muss stattdessen über das Kanalsystem abgeleitet werden. Dies führt bei starken Niederschlägen immer häufiger zu Überlastungen und Überschwemmungen.
Die Studie zeigt, dass durch Maßnahmen wie die Entsiegelung von Wegen und Gräbern die Wasserspeicherfähigkeit weiter erhöht werden könnte. Eine solche Entsiegelung der untersuchten Friedhöfe würde nicht nur das Stadtklima positiv beeinflussen, sondern auch eine lokale Entlastung des Kanalsystems bewirken. Laut der Analyse könnten dadurch zusätzlich 10 % bis 30 % mehr Niederschlag als aktuell vor Ort versickern.
Gezielte Begrünungsmaßnahmen könnten die klimaregulierende Wirkung von Friedhöfen weiter verstärken. Laut Modellrechnungen der AIT-Studie würde eine zusätzliche Bepflanzung mit Bäumen oder eine Umgestaltung zu Waldfriedhöfen die Temperatur um bis zu 1,2°C senken. Eine vollständige Umwandlung in naturnahe Friedhöfe mit dichter Vegetation könnte in heißen Sommermonaten sogar eine lokale Abkühlung von bis zu 3°C bewirken.
Auch angrenzende Stadtgebiete würden von dieser Entwicklung profitieren: Die kühlende Wirkung der Friedhöfe strahlt in ihre Umgebung aus, sodass in nahegelegenen Straßen die Temperaturen um bis zu 1°C niedriger sein könnten. Eine mittlere Abkühlung von nur 1°C kann Hitzewellen um einen Tag verkürzen und die Anzahl tropischer Nächte um bis zu drei Tage reduzieren, was sich positiv auf die Schlafqualität und Gesundheit der Anwohner*innen auswirkt. Begrünung und Entsiegelung könnten also nicht nur das Stadtklima verbessern, sondern auch gesundheitliche Vorteile für die Bevölkerung bringen.
Trotz ihres Potenzials spielen Friedhöfe in der Stadtplanung bislang kaum eine Rolle als Klimaanpassungsmaßnahme. Die Studie identifiziert mehrere zentrale Hindernisse, die einer stärkeren Nutzung im Weg stehen.
Ein wesentlicher Faktor ist das mangelnde Bewusstsein für ihre klimatischen Vorteile. In der öffentlichen Wahrnehmung und bei Entscheidungsträger*innen gelten sie primär als Bestattungsorte, während ihr Beitrag zum Stadtklima oft unberücksichtigt bleibt.
Zudem gibt es rechtliche Hürden: Es fehlen gezielte Förderprogramme und Vorschriften zur Begrünung oder Entsiegelung auf Friedhöfen. Strenge Regulierungen erschweren bauliche Anpassungen, sodass selbst einfache Maßnahmen wie das Pflanzen von Bäumen oder die Reduzierung versiegelter Wege oft mit hohem Verwaltungsaufwand verbunden sind.
Um das volle Potenzial von Friedhöfen für die Klimaanpassung in Wien zu nutzen, empfiehlt die Studie eine Reihe von Maßnahmen.
Eine stärkere Begrünung könnte die Temperaturen weiter senken, indem zusätzliche Bäume und Sträucher gepflanzt werden. Auch die Gestaltung von Gräbern spielt eine Rolle: Wenn statt Steinplatten und Kies vermehrt Pflanzen genutzt werden, kann der natürliche Kühleffekt verstärkt werden. Ebenso wichtig ist die Entsiegelung von Wegen, da weniger Asphalt nicht nur zu niedrigeren Temperaturen, sondern auch zu einer besseren Versickerung von Regenwasser führt.
Neben diesen baulichen Maßnahmen ist es entscheidend, Friedhöfe stärker in die Stadtplanung einzubinden. Sie sollten nicht nur als Orte der Bestattung, sondern als wichtige Bestandteile einer klimaresilienten Infrastruktur betrachtet werden, indem sie gezielt als klimafreundliche Zonen in die Stadtplanung eingebunden werden. Besonders in dicht bebauten und hitzebelasteten Stadtvierteln könnte ihre Umwandlung in naturnahe Waldfriedhöfe gezielt gefördert werden. Dies hätte nicht nur einen positiven Effekt auf das Stadtklima, sondern würde auch neue ökologische Lebensräume schaffen.
Damit Friedhöfe ihre Funktion als Klimaoasen erfüllen können, müssen sie stärker in die städtische Planung integriert werden. Politische Entscheidungsträger*innen und Stadtplaner*innen sollten sie nicht nur als Orte des Gedenkens betrachten, sondern als essenzielle Bestandteile einer klimaresilienten Stadt. Wenn sie systematisch in Klimastrategien einbezogen werden, könnten sie einen entscheidenden Beitrag zu einer nachhaltigen und lebenswerten Stadtentwicklung leisten.