Im dichten Stadtgebiet von Wien bieten Friedhöfe einen seltenen Rückzugsort für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten. Durch ihre alten Baumbestände, naturbelassenen Wiesen und das begrenzte menschliche Störpotenzial unterscheiden sie sich stark von anderen urbanen Grünflächen. Im Rahmen der Forschung konnten von April 2021 bis Juni 2023 über 500 Insektenarten, 80 Vogelarten, 14 Säugetierarten, 5 Reptilienarten, 4 Amphibienarten und 300 Pflanzenarten dokumentiert werden. Besonders bemerkenswert ist der Wiener Zentralfriedhof, auf dessen 2,4 Quadratkilometern Fläche allein 170 verschiedene Tierarten nachgewiesen wurden.
Die Studie zeigt, dass die Biodiversität je nach Lage und Struktur der Friedhöfe unterschiedlich ausgeprägt ist. Der Friedhof Hietzing bietet mit seinen weitläufigen Grünflächen und alten Baumbeständen ideale Lebensbedingungen für Spechte, Füchse und Wildbienen. Der Friedhof Meidling ist für das Vorkommen des geschützten Feldhamsters bekannt, während der Friedhof Hernals mit einer besonders artenreichen Vegetation aufwartet. Im Jahr 2022 wurden dort 221 Tier- und Pflanzenarten erfasst, darunter zahlreiche Schmetterlinge, wie der prächtige Schwalbenschwanz. Der Friedhof Aspern nimmt durch seine Lage in der Nähe des Nationalparks Donau-Auen eine besondere Rolle ein und bietet unter anderem dem Schwarzspecht einen idealen Lebensraum.
Das Projekt „BaF – Biodiversität am Friedhof“ kombiniert klassische wissenschaftliche Erhebungen mit einem modernen Citizen-Science-Ansatz. Wissenschaftler*innen erfassen systematisch die Artenvielfalt auf Friedhöfen, führen Langzeitstudien durch und analysieren, welche Maßnahmen den Erhalt dieser Lebensräume verbessern können.
Gleichzeitig sind auch Bürger*innen eingeladen, sich aktiv an der Forschung zu beteiligen. Über Plattformen wie www.baf-austria.at oder stadtwildtiere.at können Interessierte ihre eigenen Beobachtungen melden. Diese Beteiligung bringt gleich zwei Vorteile: Zum einen liefert sie wertvolle Daten, zum anderen stärkt sie das Umweltbewusstsein der Bevölkerung. Besonders erfolgreich ist die Zusammenarbeit mit Schulen. In Kooperation mit dem Austrian Educational Competence Centre Biologie werden Bildungsprogramme angeboten, die Schüler*innen für die Bedeutung von Friedhöfen als ökologische Orte sensibilisieren. Die Jugendlichen lernen dabei nicht nur viel über Artenvielfalt und Naturschutz, sondern bekommen auch einen Einblick in die wissenschaftliche Arbeitsweise von Forscher*innen. Dieses Konzept wurde 2022 mit dem Citizen Science Award des OeAD –-Agentur für Bildung und Internationalisierung ausgezeichnet.
Trotz ihres ökologischen Wertes stehen Friedhöfe zunehmend unter Druck und vor Herausforderungen. Eine der größten Bedrohungen ist die Flächenversiegelung. Asphaltierte Wege und dichte Grabreihen lassen immer weniger Platz für Pflanzen und Bodenlebewesen. Auch intensive Pflegepraktiken, wie häufiges Mähen oder der Einsatz von Pestiziden führen dazu, dass die ökologische Vielfalt leidet. Nicht zuletzt fehlt oft das Bewusstsein dafür, welchen Wert Friedhöfe als Naturparadiese haben.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, setzt das Forschungsprojekt auf gezielte Schutzmaßnahmen. Durch das Anlegen von Totholzbereichen entstehen wertvolle Lebensräume für Insekten und Kleintiere. Die Reduktion des Pestizideinsatzes sowie eine naturnahe Pflege tragen dazu bei, das ökologische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig wird durch Bildungsangebote und Öffentlichkeitsarbeit das Bewusstsein für den hohen ökologischen Wert von Friedhöfen geschärft.
Die Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass Friedhöfe eine oft unterschätzte Rolle für den Erhalt der Biodiversität in Städten spielen. Vor allem in dicht bebauten Städten bieten sie unersetzliche Lebensräume für viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten.
Damit ihr volles Potenzial ausgeschöpft werden kann, sollten Friedhöfe stärker in den Fokus der Stadtplanung rücken. Maßnahmen, wie eine Reduktion der Versiegelung, eine Förderung naturnaher Pflegekonzepte und eine gezielte Integration in den städtischen Grünraum könnten wesentlich dazu beitragen, Friedhöfe langfristig als wertvolle Lebensräume zu erhalten. Gleichzeitig ist es wichtig, Bürger*innen weiterhin in die Forschung und den Naturschutz einzubeziehen – denn nur durch ein breites gesellschaftliches Bewusstsein können diese einzigartigen Naturparadiese bewahrt werden.
Weitere Informationen zur Studie sowie eine detaillierte Auflistung der erfassten Arten sind auf der Projektseite www.baf-austria.at abrufbar.