Johannes Imminger
10.10.2024
Bereits am 18. Juli 2024 hatten die Mitglieder des Europäischen Parlaments Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission wiedergewählt. In den darauffolgenden Sommerwochen nominierten alle Mitgliedsstaaten – außer Deutschland, das bereits über Präsidentin von der Leyen vertreten ist – ihre jeweiligen Kandidat*innen für das neue Kollegium der Kommissar*innen für die Amtszeit 2024-2029. Offen blieb dabei jedoch noch der genaue Zuschnitt von deren Zuständigkeiten. Diesen stellte Ursula von der Leyen schließlich am 17. September 2024 in Straßburg vor.
Dabei konkretisierte sie gleichzeitig die politischen Prioritäten der neuen Kommission. Jede*r neue*r Kommissar*in erhielt in einem sogenannten „Mission Letter“ die zentralen politischen Schwerpunkte des jeweiligen Portfolios. In den einzelnen Politikfeldern ebenso wie in ihrer Gesamtheit geben sie Einblicke in die anstehenden Weichenstellungen auf EU-Ebene.
Wurde unmittelbar zu Beginn der ersten Von-der-Leyen-Kommission 2019 der „European Green Deal“ als zentraler Leitfaden der letzten EU-Legislaturperiode vorgestellt, so ist schon jetzt absehbar, dass die Amtszeit der neuen Kommission unter der übergeordneten Priorität „Wettbewerbsfähigkeit der EU“ starten wird. Laut Ursula von der Leyen soll die neue Kommission unter anderem an einer neuen europäischen Industriestrategie und der Stärkung der technologischen Souveränität sowie der Sicherheit und Resilienz der EU arbeiten. Die Ziele des Green Deals sollen dabei jedoch nicht aufgegeben, sondern seine Umsetzung weiter vorangetrieben und mit den Zielen der Wettbewerbsfähigkeit und Unabhängigkeit der EU verbunden werden.
Konkret soll in den ersten 100 Tagen nach Amtsantritt ein „Clean Industrial Deal“ vorgelegt werden. Gleichzeitig möchte Kommissionspräsidentin von der Leyen aber auch weiter an einem neuen 2040-Ziel von Minus 90 Prozent CO2-Reduktion festhalten und es zügig über das EU-Klimagesetz rechtsverbindlich festlegen. Anschließend soll die „Post-2030-Architektur“ (u.a. ETS-Überarbeitung) festgelegt werden.
Auffallend ist, dass viele Portfolios inhaltliche Überschneidungen haben und eine gute Zusammenarbeit der einzelnen Kommissar*innen und ihrer politischen Gruppen voraussetzen. Von den insgesamt 26 Kommissar*innen fungieren sechs als Exekutive Vizepräsident*innen, die auch eine koordinierende Funktion einnehmen sollen.
Teresa Ribera aus Spanien wird als Exekutive Vizepräsidentin für den gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang eine zentrale Rolle in der zukünftigen EU-Energie- und Klimapolitik einnehmen. Sie soll auch neue Wettbewerbskommissarin werden und übernimmt damit gewichtige Teile der Portfolios der ausscheidenden bzw. schon ausgeschiedenen bisherigen einflussreichen Vizepräsidenten Margrethe Vestager und Frans Timmermans. Sie soll damit sowohl die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im Blick behalten als auch den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben. Dazu soll sie u.a. die EU-Wettbewerbspolitik überarbeiten, um die Transformation zu einem sauberen Energiesystem zu beschleunigen.
Ein weiterer zentraler Akteur im Bereich Energie wird Dan Jørgensen aus Dänemark sein, der das Ressort Energie und Wohnen übernehmen soll. Er gilt als Unterstützer des Green Deals, soll in den kommenden Jahren aber gleichzeitig auch die Senkung der Energiepreise priorisieren und die Energiesicherheit Europas stärken. Besondere Aufmerksamkeit soll er auch der weiteren Stärkung und dem Ausbau der Netzinfrastruktur zukommen lassen. Energienetze werden in den Mission Letters allgemein als übergeordnete Priorität anerkannt und im Zusammenhang mit vielen Initiativen, ob sektorenübergreifend oder energiespezifisch (z.B. „Clean Industrial Deal“ oder „Clean Energy Investment Strategy“), prominent erwähnt.
Im Bereich Klimapolitik wird außerdem Wopke Hoekstra aus den Niederlanden eine Schlüsselrolle spielen. Als Kommissar für Klima und grünes Wachstum soll er den Rechtsrahmen für die Klimaziele für 2030 und 2040 umsetzen bzw. neu entwerfen.
Jessika Roswall aus Schweden übernimmt das Portfolio Umwelt und Kreislaufwirtschaft. Ihre Schwerpunkte sind die Förderung der Kreislaufwirtschaft („Circular Economy Act“) und die Entwicklung einer neuen Wasserresilienz-Strategie für Europa. Ein neues „Chemicals Industry Package“, inklusive REACH- und PFAS-Gesetzgebung, wird ebenfalls eine Rolle spielen.
Auch im Bereich nachhaltiger Transport (und Tourismus) gibt es mit Apostolos Tzitzikostas aus Griechenland einen neuen Kommissar. Er soll sich um die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur und die Dekarbonisierung des Verkehrssektors kümmern.
Magnus Brunner aus Österreich soll für Inneres und Migration zuständig sein, wozu auch der Themenbereich Sicherheit der digitalen und physischen kritischen Infrastruktur zählt.
Weitere für die zukünftige Energie- und Klimapolitik wichtige Kommissar*innen werden u.a. Henna Virkkunen (Exekutive Vizepräsidentin für technische Souveränität), Piotr Serafin (Budget) sowie Stéphane Séjourné (Exekutiver Vizepräsident für Wohlstand und europäische Industriestrategie) sein, der – gemeinsam mit Teresa Ribera – eine führende Rolle bei der Ausbalancierung von Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit spielen soll.
Die Hearings der designierten Kommissar*innen vor den für ihre Politikfelder zuständigen Ausschüssen des Europäischen Parlaments sind für die erste Novemberhälfte (4. bis 12. November 2024) geplant. Sollten möglicherweise von den Abgeordneten geforderte Neunominierungen und die anschließende Abstimmung über die gesamte Kommission zügig erfolgen, könnte sie mit Anfang Dezember 2024, bei Verzögerungen Anfang Jänner 2025, ihr Amt antreten und bereits im ersten Quartal 2025 erste konkrete Vorschläge – zunächst v.a. in Form von Strategien – vorlegen.
Leiter der EU-Vertretung der Wiener Stadtwerke in Brüssel
Um die Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten und mehr Transparenz von Seiten der Unternehmen zu erreichen, hat die EU in den vergangenen Jahren die Reportingpflichten für nicht-finanzielle Berichte erheblich ausgeweitet. Gleichzeitig sollen nun die Unternehmen jedoch wieder etwas entlastet werden, weshalb im Rahmen des Omnibus-Pakets verschiedene Erleichterungen vorgestellt wurden.
Am 26.02. wurde im Rahmen der Vorstellung des neuen EU Clean Industrial Deals, auch der Aktionsplan für erschwingliche Energiepreise präsentiert. Dieser soll die Preise für Energie für Endkund*innen und Industrie senken und damit die EU wettbewerbsfähiger machen. Die Kommission zeigt hier gute Ideen, so manch relevante Punkte sind noch unklar.
Mit dem Clean Industrial Deal hat die Europäische Kommission ihren neuen „Business Plan“ vorgestellt, der die Ziele der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Dekarbonisierung verbinden soll. Gemeinsam mit einem Aktionsplan für erschwingliche Energie und dem sogenannten „Omnibus-Paket“ zur Nachhaltigkeitsberichterstattung soll die EU zukunftsfit und wettbewerbsfähig gemacht werden.