Johannes Imminger
27.02.2025
Der Clean Industrial Deal soll den Kompass für Wettbewerbsfähigkeit vom 29. Jänner 2025 konkretisieren und hat, laut Kommission, vor dem Hintergrund hoher Energiekosten und einem verschärften internationalen Wettbewerb vor allem zwei Hauptadressaten: Die energieintensive Industrie und Clean Tech. Er hat jedoch auch darüber hinaus Auswirkungen auf eine große Zahl an weiteren Politik- und Wirtschaftsbereichen. Zahlreiche Maßnahmen richten sich insbesondere an den Energiesektor.
Der Clean Industrial Deal ist im Detail auf sechs Pfeiler aufgebaut, die in den nächsten Monaten und Jahren die Grundlage für konkrete Maßnahmen auf EU-Ebene darstellen sollen.
Ein erster Pfeiler soll erschwingliche Energie sein. Hierzu stellte die Kommission parallel einen Aktionsplan vor, der wiederum vier Säulen – die Senkung der Energiekosten, Krisenvorbereitung, verstärkte Investitionen und die Vollendung der Energieunion – umfasst (siehe unten).
Als zweiten Fokusbereich sollen neue Leitmärkte für „dekarbonisierte Produkte“ forciert werden. Die Nachfrage von Produkten aus klimaschonender Produktion soll unter anderem durch Anreize im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe angekurbelt werden. Auch bei Wasserstoff will die Kommission Leitmärkte schaffen und plant eine neue Ausschreibungsrunde für die H2-Erzeugung sowie noch im ersten Quartal 2025 die Vorlage ausstehender Definitionen zu „CO2-armen“ Wasserstoff.
Im Rahmen der dritten Säule soll ein neu geschaffener „Competitiveness Fund“ nachhaltige Investitionen in die europäische Industrie fördern. Instrumente im Rahmen des „Innovation Fund“ sollen ausgebaut und die Möglichkeit für Garantien für private Investments ausgeweitet werden. Abgerundet wird der dritte Pfeiler mit einem neuen Rechtsrahmen für staatliche Beihilfen für die „saubere Industrie“.
Der vierte Schwerpunkt Kreislaufwirtschaft wird unter anderem mit der Priorisierung der Implementierung des „Critical Raw Materials Acts“ sowie geplante Nachfrage-Aggregations-Mechanismen für kritische Rohstoffe konkretisiert. In 2026 möchte die Europäische Kommission außerdem einen „Circular Economy Act“ vorschlagen.
Um international Schritt halten zu können, sollen als fünften Schwerpunkt die globalen Märkte und internationale Partnerschaften durch neue Freihandelsabkommen und Reduktionen der Berichtspflichten für CBAM Importeure gestärkt werden.
Fachkräfte werden als sechster Pfeiler hervorgehoben. So soll u.a. die Ausbildung von Fachkräften im Rahmen von Programmen wie dem „European Fair Transition Observatory“ unterstützt und Leitlinien zum „Social Leasing for clean products“ angenommen werden. Eine „Union der Kompetenzen“ ist ebenfalls geplant.
Mit dem parallel zum Clean Industrial Deal vorgelegten Aktionsplan für erschwingliche Energie sollen die Energiekosten für Endverbraucher*innen und die Industrie durch gezielte Maßnahmen gesenkt werden. Die Europäische Kommission erwartet durch den Aktionsplan (und allgemein die Energiewende) Gesamteinsparungen von 45 Mrd. € im Jahr 2025. Bis 2030 wird mit einem schrittweisen Anstieg der Gesamteinsparungen auf 130 Mrd. € jährlich, bis 2040 auf 260 Mrd. € jährlich gerechnet.
Ein wesentlicher Unterschied zur Debatte um Energiepreise in den Jahren 2022/23 besteht darin, dass das Strommarktdesign nicht erneut geöffnet, sondern vielmehr die in der letzten Legislaturperiode beschlossenen Maßnahmen rasch implementiert werden sollen. Insbesondere die darin vorgesehene stärkere Nutzung langfristiger Stromlieferverträge wird von der Kommission hervorgehoben. PPAs und CfDs sollen vorangetrieben werden, um mehr Preisstabilität und niedrigere Stromversorgungskosten insgesamt zu erreichen.
Zudem soll das „Citizens Energy Package“, das für das dritte Quartal 2025 vorgesehen ist, die Bürger*innen noch aktiver in den Energiemarkt einbinden. Ferner wird eine Überarbeitung der Energiehandelsregeln angestrebt, wobei Anpassungen bei den Regulierungen in MiFID und REMIT im Fokus stehen.
Energienetzen soll auch in dieser Legislaturperiode eine besondere Aufmerksamkeit zukommen. Die Kommission möchte u.a. die Rolle von Netzentgelten bei Anreizen für Flexibilität und Netzinvestitionen prüfen. Gegebenenfalls soll dies auch durch einen legislativen Vorschlag auf EU-Ebene unterstützt werden. Des Weiteren wird von der Kommission gefordert, Steuern und Abgaben auf Stromrechnungen zu reduzieren, sodass Elektrizität im Vergleich zu anderen Energieformen niedriger besteuert wird.
Zudem sollen Genehmigungszeiten für saubere Energieformen und Infrastruktur reduziert und der Ausbau der Netzkapazitäten durch Digitalisierung im Rahmen eines neuen „European Grid Package“ um 20 bis 40 Prozent gesteigert werden. Eine höhere Flexibilität im Stromsystem soll auch durch den verstärkten Einsatz von Speichern und Demand-Response-Mechanismen erreicht werden.
Die Bedeutung der Wärme- und Kälteversorgung soll mit einer neuen „Heating & Cooling“-Strategie berücksichtigt werden. Außerdem soll ein Elektrifizierungs-Aktionsplan vorgelegt werden, um das von der Kommission vorgegebene KPI von 32% Elektrifizierungsrate in 2030 (von heute EU-weit 21,3%) zu erreichen. Auch diese Maßnahmen sollen zum übergeordneten Ziel des Aktionsplans beitragen, die Energieversorgung noch verlässlicher und kosteneffizienter zu gestalten.
Mit einem „Omnibus-Paket“ sollen bestehende Gesetzgebungen in ausgewählten Bereichen – in diesem Fall der Nachhaltigkeit – gebündelt überarbeitet werden. Der parallel zum Clean Industrial Deal vorgestellte Nachhaltigkeits-Omnibus enthält dabei weitreichende Änderungsvorschläge, die einige der im Rahmen des Green Deals in der letzten Legislaturperiode verabschiedete Vorschriften abschwächen würden. Es handelt sich dabei zunächst um Vorschläge der Kommission, die in den nächsten Monaten noch durch das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten im Rat verhandelt und angenommen werden müssen, um in Kraft treten zu können.
Im Bereich der „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) schlägt die Kommission vor, die Anwendung der Regeln für die Nachhaltigkeitsberichterstattung um zwei Jahre auf 2028 zu verschieben und den Anwendungsbereich deutlich zu verkleinern.
Schätzungsweise 80 % der Unternehmen würden laut Kommissions-Vorschlag aus der Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung herausfallen, da die Schwelle auf große Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und entweder über 50 Millionen Euro Umsatz oder einer Bilanzsumme von mehr als 25 Millionen Euro festgelegt werden soll.
Für Unternehmen, die nicht unter die CSRD fallen, soll ein freiwilliger Standard auf Basis der VSME-Standards erstellt werden, der als Obergrenze für die Wertschöpfungskette agiert: Er soll die Daten limitieren, die Unternehmen im Anwendungsbereich der CSRD von kleineren Unternehmen in ihrer Wertschöpfungskette abfragen können.
Der delegierte Rechtsakt zu Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) soll schnellstmöglich überarbeitet werden, um die Anzahl an Datenpunkten signifikant zu reduzieren. Geplant ist die Überarbeitung spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten der Richtlinie zur Vereinfachung. Der Vorschlag streicht zudem die Befugnis der Kommission, sektorspezifische ESG-Standards zu erlassen, die bisher noch ausstanden.
Die erste Phase der Anwendung der CSDDD soll um ein Jahr auf 2028 verschoben werden. Gleichzeitig werden die Leitlinien der Kommission auf Juli 2026 vorgezogen, um die Abhängigkeit von externen Beratungsleistungen zu reduzieren.
Die regelmäßige Monitoring-Frequenz soll von einmal jährlich auf alle fünf Jahre verlängert werden. Aktualisierungen sollen trotzdem weiterhin erforderlich sein, wenn es berechtigte Gründe für die Annahme gibt, dass die Sorgfältigkeitsmaßnahmen nicht mehr angemessen oder wirksam sind.
Die Informationen, die Unternehmen im Anwendungsbereich von kleinen und mittelgroßen Unternehmen abfragen können, werden im Kommissions-Vorschlag auf die Informationen der freiwilligen CSRD-Standards begrenzt, um „Trickle-Down-Effekte“ zu reduzieren.
Unternehmen werden im Vorschlag zudem von der Verpflichtung entbunden, systematisch die negativen Auswirkungen in komplexen Wertschöpfungsketten bei indirekten Geschäftspartnern zu bewerten. Eine umfassende Sorgfaltspflicht jenseits des direkten Geschäftspartners ist nur dann gefordert, wenn plausible Informationen zu negativen Auswirkungen vorliegen.
Die harmonisierten EU-Bedingungen für die zivilrechtliche Haftung werden ebenfalls gestrichen. Stattdessen wird den verschiedenen nationalen zivilrechtlichen Haftungsregelungen Vorrang eingeräumt.
Auch im Bereich der Taxonomie sind Lockerungen geplant: So schlägt die Kommission vor, die Berichtspflichten auf die größten Unternehmen zu beschränken (entsprechend dem Anwendungsbereich der CSDDD), während Unternehmen im künftigen CSRD-Anwendungsbereich freiwillig berichten können. Der Vorschlag sieht eine freiwillige Berichterstattung für Unternehmen mit Jahresumsatz < 450 Mio. Euro und die Möglichkeit einer partiellen Taxonomie-Berichterstattung vor.
Der Vorschlag führt außerdem eine finanzielle Wesentlichkeitsschwelle für die Taxonomie-Berichterstattung ein und reduziert die Berichtsvorlagen um etwa 70 %. Weitere Elemente sind eine Überarbeitung der Green Asset Ratio (GAR) zur Vermeidung einer Benachteiligung nicht-berichtspflichtiger Unternehmen sowie eine Beschränkung der verpflichtenden Berichterstattung zum OpEx-KPI.
Darüber hinaus schlägt die Kommission im Rahmen des Omnibus-Pakets weitere Vereinfachungen vor, darunter Anpassungen am CO₂-Grenzausgleichssystem (CBAM) sowie ein zusätzliches Omnibus-Maßnahmenpaket, das Änderungen an der Verordnung über die Steigerung der Effizienz der sogenannten EU-Garantie und die Vereinfachung der damit verbundenen Berichterstattungsanforderungen vorschlägt.