Anna Stürgkh und Lars Ritter
06/20/2025
Der „Initiativbericht über Stromnetze als Rückgrat des Energiesystems der EU“, den Europaabgeordnete Anna Stürgkh für das Europäische Parlament verfasst und verhandelt hat, setzt sich mit den aktuellen Herausforderungen als Antwort auf den „Aktionsplan für Netze“ (Grid Action Plans) der Kommission und als Forderungskatalog für das Netzpaket („Grids Package“) auseinander. EU-Abgeordnete Anna Stürgkh und Lars Ritter, politischer Berater in ihrem Büro, haben für uns die zentralen Forderungen dargelegt.
Stromnetze sind die Adern unseres Stromsystems. Wenn sie nicht richtig funktionieren, würde unser Stromsystem zusammenbrechen. Früher war unser Stromsystem durch große Kraftwerke – hauptsächlich Gas oder Kohle – gekennzeichnet, die Strom über Übertragungsleitungen zu Umspannwerken transportierten, wo er dann über Verteilnetze an die Verbraucher*innen verteilt wurde. Aber das hat sich grundlegend geändert.
Strom wird zunehmend aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Erneuerbarer Strom ist billiger als fossiler Strom und macht Europa unabhängig von Importen. Dieser erneuerbare Strom muss jedoch in das Netz eingespeist werden. Prognosen erwarten, dass bis 2030 70 % der erneuerbaren und dezentralen Energieerzeugung in das Verteilnetz eingespeist werden. Andererseits ändert sich die Art und Weise, wie wir Energie verbrauchen. Wärmepumpen, Elektroautos oder industrielle Elektrifizierung werden den Stromverbrauch erhöhen. Darüber hinaus scheint weder die Sonne immer noch der Wind zu jeder Zeit. Die Erzeugung erneuerbarer Energien erfolgt nicht unbedingt dann, wenn der Strom benötigt wird. Daher sind die europäischen Übertragungs- und Verteilnetze mit massiven Veränderungen konfrontiert.
40 % der europäischen Verteilnetze sind über 40 Jahre alt und müssen den neuen Gegebenheiten angepasst oder ausgebaut werden. Auch die Übertragungskapazität über Grenzen hinweg muss erhöht werden. Je stärker die europäischen Strommärkte integriert sind, desto günstiger wird die Stromrechnung für die Verbraucher*innen. Wird das Netz nicht erneuert und ausgebaut, wird es für die Kund*innen teuer und erneuerbare Energie wird verschwendet – von dieser Situation profitiert niemand. Dringende Investitionen in das Netz sind daher unerlässlich, wenn wir das europäische Stromsystem dekarbonisieren wollen.
Der Initiativbericht des Europäischen Parlaments befasst sich genau mit diesen Herausforderungen: Was ist notwendig, um unser Stromnetz zu modernisieren? Die Planung der europäischen grenzüberschreitenden Stromleitungen muss verbessert werden. Anstatt eines strategischen, paneuropäischen Ansatzes ist der Fokus hier oft zu stark auf nationale Infrastrukturprojekte gerichtet. Die geplanten Projekte entsprechen oft nicht den reellen Bedarfen grenzüberschreitender Infrastrukturprojekte.
Deshalb muss ACER als Europäische Regulierungs-Agentur stärker als bisher in die Netzplanung eingebunden werden, zum Beispiel beim Erstellen der Szenarien. Bisher werden diese von den Übertragungs-Netzbetreibern allein erstellt, ACER gibt lediglich eine Stellungnahme ab. Hier ist ein stärkerer, strategischer EU-Fokus nötig. Darüber hinaus sollen Verteilnetze eine größere Rolle in den entsprechenden Planungsrahmen spielen und auch den sogenannten PCI-Status („Projects of Common Interest“ - Projekte von gemeinsamem Interesse) einfacher erreichen können. Zwar ist dies in der Theorie schon möglich, aber in der Praxis haben sich auf der letzten PCI-Liste nur fünf DSO-Projekte ("Distribution system operators" - Verteilnetzbetreiber) wiedergefunden. Dies mag unter anderem daran gelegen haben, dass es zu komplexe und aufwendige Bewerbungsprozesse gibt, die eher auf große Übertragungsnetzbetreiber als kleinere Verteilnetzbetreiber zugeschnitten sind.
Es braucht massive Investitionen in unsere Stromnetze. Schätzungen zufolge sind bis 2030 Investitionen in Netze in Höhe von rund 584 Milliarden EUR erforderlich. Dafür stehen bereits verschiedene EU-Fördertöpfe zur Verfügung. Diese werden entweder auf EU-Ebene, oder auf Mitgliedsstaatenebene verwaltet. Die Connecting Europe Facility für Energie (CEF-E) ist das wichtigste EU-Förderinstrument. Dem Parlament ist es besonders wichtig, dass CEF-E im neuen mehrjährigen Finanzrahmen weiter bestehen bleibt und das Budget angesichts des massiven Investitionsbedarfs erhöht wird.
Für Netzinfrastruktur gibt es außerdem bereits national verwaltete EU-Fonds, wie der Kohäsionsfonds oder die Aufbau- und Resilienzfazilität. Insbesondere für Investitionen im Verteilnetzbereich können diese interessant sein. Allerdings wird aber zu wenig für Netze abgerufen. Das Parlament fordert hier, dass die Mitgliedstaaten genau das sicherstellen müssen, da sie eigentlich schneller und unbürokratischer vergeben werden könnten. Weiters ist es unerlässlich, private Investitionen durch Begrenzung der Investitionsrisiken zu erhöhen. Für die Investitionssicherheit spielen zum Beispiel verlässliche Lieferketten eine entscheidende Rolle. Positiv muss in dem Zusammenhang erwähnt werden, dass es in der EU und insbesondere in Österreich schon erhebliche Wertschöpfung gibt, zum Beispiel im Bereich der innovativen Technologien.
Innovative Technologien müssen als Alternativen, oder zumindest komplementär zum Netzausbau berücksichtigt werden. Dies reicht von der Hardware über den Einsatz digitaler Technologien bis zu flexiblen Kapazitätsmärkten, die wiederum den Einsatz bestimmter Smart Meter voraussetzen. Der Einsatz solcher Technologien muss mitgedacht werden, da sie oft eine billigere und schnellere Alternative zum Bau neuer Leitungen darstellen, obgleich sie nicht gänzlich ersetzen können. Die Nutzung innovativer und digitaler Technologien können Flexibilität zum Beispiel über lokale Flexibilitätsmärkte ermöglichen. Verträge für flexible Anschlüsse gibt es bereits heute schon. Sie können ebenfalls zur Steigerung der Effizienz des Netzes beitragen, ohne große technische Upgrades . Länder wie Großbritannien sind in diesem Bereich schon recht weit.
Letztlich seien grenzüberschreitende Netzinvestitionen erwähnt. Hier muss klar sein, wer davon profitiert und wer die Rechnung bezahlt. Dies betrifft Länder wie Österreich als Transitland oder Dänemark mit großer Offshore-Erzeugung. Zwar gibt es verschiedene Mechanismen zur Kostenteilung zwischen den Ländern, wie die “grenzüberschreitende Kostenverteilung”, jedoch spiegeln diese nicht ausreichend Kosten und Vorteile für die jeweiligen Länder wieder. Gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Wir fordern die Kommission deshalb auf, vorhandene Instrumente zur Kostenverteilung auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.
Die Europäische Kommission hat bereits einige der im Bericht angesprochenen Probleme aufgegriffen und bestimmte Maßnahmen angekündigt, wie das für Ende 2025 vorgesehene „Grids Package“. Wir gehen davon aus, dass Ende des Jahres in diesem Zusammenhang eine Änderung der Verordnung zu grenzüberschreitender Energie-Infrastruktur von der Kommission vorgelegt wird. Wir hoffen stark, dass das Thema Europäische Netzplanung hierbei aufgegriffen wird. Glaubt man dem Flurfunk, ist auch von einer stärkeren Berücksichtigung der Verteilnetze auszugehen, nicht zuletzt wurde auf dem „Kopenhagen-Forum“ Anfang Juni sehr stark über die Bedeutung der Verteilnetze gesprochen.
Viele Maßnahmen des Grid Action Plans befinden sich bereits in der Umsetzung, aber es braucht ein paar grundlegende Weichenstellungen. Deshalb hoffen wir sehr, dass die Kommission auf dem vom Parlament verabschiedeten Bericht aufbaut. Nur ein integriertes Energiesystem wird dazu beitragen, die Stromrechnungen möglichst niedrig zu halten. Daher ist es unser Anliegen, solche Maßnahmen voranzutreiben, um so der Vollendung der Energieunion näher zu kommen und damit unser Energiesystem sicher, sauber und bezahlbar bleibt.
Abgeordnete zum Europäischen Parlament
Politischer Berater im EU-Parlament