Was bedeutet eine stärkere Leistungskomponente bei Netztarifen?

Wolfgang Orasch und Ines Koubek
06/18/2025

Wer Strom aus dem Netz bezieht, zahlt Netzentgelte – aber oft nicht entsprechend seiner tatsächlichen Belastung fürs Netz. Eine Reform, die die Leistungskomponente auf der untersten Netzebene stärker betont, wäre verursachungsgerechter, würde Kleinstverbraucher entlasten und netzdienliches Verhalten belohnen.

Strom-Netztarife heute: Verbrauch im Vordergrund

Netztarife sind keine Marktpreise, sondern werden von der zuständigen Behörde, der E-Control, verordnet. Mit den Netztarifen werden die Kosten für den Betrieb, den Ausbau und die Instandhaltung der Stromnetze abgedeckt.

Für Haushalte und kleine Gewerbebetriebe (Netzebene 7) orientiert sich der Netztarif aktuell vor allem am jährlichen Stromverbrauch in Kilowattstunden (kWh). Zusätzlich gibt es eine relativ kleine Pauschale von derzeit 48 Euro pro Jahr.

Das klingt einfach, wird aber der Realität eines zunehmend flexiblen und dezentralen Energiesystems nicht mehr gerecht. Denn das geänderte Kundenverhalten führt zu einer unterschiedlichen Beanspruchung der Netze. Ein Beispiel: Wer sein Auto über Nacht mit 4 kW lädt, bezahlt derzeit gleich viel wie jemand, der binnen einer Stunde mit 11 kW auflädt. Die Netzbelastung ist durch die hohe Leistung im zweiten Fall aber ungleich höher.

Wer Stromkosten sparen will, hat nur den Anreiz wenig zu verbrauchen, die gleichmäßige Nutzung hat keinen Effekt auf den Preis, wohl aber für die Belastung der Netze.

Was das Netz wirklich belastet

Die Anforderungen an die Stromnetze nehmen zu: Dezentrale Erzeuger mit großen Schwankungen in der Einspeisung (wie Wind- und Sonnenenergie) aber auch die Verbraucherseite mit E-Mobilität und Wärmepumpen erhöhen die Leistungsanforderungen der Netze.

Denn Stromnetze müssen nicht nach dem gesamten Jahresverbrauch ausgelegt werden, sondern danach wieviel Leistung (kW) sie zu Spitzenzeiten transportieren müssen. Zum Beispiel müssen die Entlüftungsanlagen eines Tunnels auf die Höchstbelastung im Brandfall ausgelegt werden, auch wenn dieser Fall nie eintritt. Auch die Trafostation einer Veranstaltungsgeländes müssen stark genug für die Höchstlast sein, auch wenn diese Auslastung nur selten vorkommt (z.B. beim Donauinselfest).

Das entscheidende technische Kriterium ist die sogenannte gleichzeitige Höchstlast. Sie bestimmt, wie groß und robust das Netz gebaut werden muss. Je mehr Lastspitzen es gibt, desto stärker und teurer muss das Netz dimensioniert werden.

Haushalte mit einer Photovoltaikanlage profitieren aktuell mehrfach: Sie senken ihren zugekauften Stromverbrauch und damit ihre Netzentgelte – auch wenn sie das Netz mit ihren Lastspitzen ( z.B. mit der zeitgleichen Verwendung der Wärmepumpe, dem Backofen und dem Föhn) genauso stark beanspruchen wie andere. Oder, wenn sie ihren erzeugten Strom an einem sonnigen Sommertag, an dem niemand zu Hause ist, mittags zu 100% einspeisen. Auch das wird derzeit tariflich nicht abgebildet.

Durch den Eigenverbrauch sinkt also ihr Beitrag zu den Netzkosten, obwohl die Netzkosten für den Netzbetreiber steigen.

Auch der Aufwand der Netzbetreiber für Energiegemeinschaften wird derzeit nur sehr geringfügig abgegolten. Die Forderung der Netzbetreiber lautet daher: Alle Teilnehmer*innen des Netzsystems sollen die von ihnen verursachten Kosten auch tragen. Derzeit werden diese Kosten auf alle anderen Netzkunden aufgeteilt, wodurch die Netztarife für den Bezug je kWh ansteigen.

Wie eine stärkere Leistungskomponente Netztarife fairer machen würde

Die Netzbetreiber in Österreich wünschen sich daher einen Leistungstarif: Das heißt, der Tarif hängt nicht nur von der bezogenen Strommenge ab, sondern auch davon, wie stark die Netze beansprucht werden. Und auch Einspeiser sollen sich fair an den Kosten beteiligen, so die Forderung.

Eine Reform, die die Leistungskomponente stärker betont, wäre verursachungsgerechter, würde Kleinstverbraucher entlasten und netzdienliches Verhalten belohnen.

Ein Leistungstarif, bei dem nicht nur die verbrauchte Strommenge, sondern auch die maximal beanspruchte Leistung Auswirkungen auf die Kosten hat, kann den Verbrauchern Anreize liefern, hohe Leistungsspitzen zu vermeiden.

Diese Maßnahmen würden den Netzen ermöglichen, insgesamt mehr Strommenge aufnehmen zu können, da sie gleichmäßiger genutzt werden würde. Der Ausbau könnte somit moderater erfolgen.

Im Gewerbebereich längst Standard

In der Industrie und bei größeren Gewerbebetrieben funktioniert das seit langem: In den Netzebenen 3 bis 6 sowie Großverbrauchern der Netzebene 7, die bereits eine exakte Leistungsmessung haben, zahlen Unternehmen nicht nur für den Stromverbrauch, sondern auch für die maximale Leistung, die sie aus dem Netz beziehen.

Der sogenannte Leistungspreis macht dort zwischen 40 und 60 Prozent des Netztarifs aus. Unternehmen, die hohe Spitzenlasten abrufen – etwa beim gleichzeitigen Betrieb vieler Maschinen –, zahlen entsprechend mehr. Das ist gerecht und setzt Anreize, Lastspitzen zu steuern oder durch Lastmanagement zu vermeiden.

Mit der Umstellung auf eine leistungsbasierte Komponente würde dieses bewährte Prinzip nun auch für Haushalte und kleine Gewerbebetriebe eingeführt.

Was sollte sich ändern?

Der Netztarif für alle Netzkund*innen sollte künftig aus zwei Komponenten bestehen:

  1. einem (gemessenen) leistungsabhängigen Anteil (abhängig von der höchsten monatlichen Spitzenleistung) und
  2. einem arbeitsabhängigen Anteil (wie bisher auf Basis der verbrauchten kWh).

Damit würden aktive Kund*innen belohnt, die ihre Verbrauchsspitzen bewusst steuern – z.B. indem sie ihr E-Auto zeitversetzt oder langsam laden.

Fairer Beitrag zur Energiewende

Aus Sicht der Wiener Stadtwerke wäre das ein wichtiger und fairer Schritt.

  • Das Netz wird effizienter genutzt und unnötiger teurer Netzausbau vermieden.
  • Alle zahlen entsprechend ihrer tatsächlichen Netzbeanspruchung – auch PV-Haushalte und E-Auto-Nutzer*innen.
  • Haushalte mit geringem Verbrauch und geringen Leistungsspitzen würden entlastet.
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Wolfgang Orasch

Wiener Netze

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Ines Koubek

Public Affairs Expertin Energie I Stv. Leitung