Ben Raho und Ines Koubek
20.11.2025
Nach über zwei Jahren zäher politischer Verhandlungen, zwei Begutachtungsentwürfen und zahlloser Stellungnahmen hat die Bundesregierung nun nach intensiven Verhandlungen einen Entwurf für das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) vorgelegt. Der Text enthält erneut zahlreiche Anpassungen – doch erst eine Zweidrittelmehrheit im Parlament kann den Weg für die heiß ersehnte Umsetzung freimachen.
Der Weg zum ElWG, dem längst fälligen Nachfolger des in die Jahre gekommenen ElWOG, war steinig und voller Wendungen. Ursprünglich galt das Gesetz als eher trockene, technische Materie, welche von der ehemaligen Klima- und Energieministerin Leonore Gewessler als „Betriebssystem der Energiewende“ bezeichnet wurde und außerhalb von Fachkreisen kaum Beachtung fand. Doch der zunehmende Druck gestiegener Energiepreise lenkte den Blick der nachfolgenden Regierung auf die Frage der Leistbarkeit und führte zugleich zu einer spürbaren Verschiebung der politischen Prioritäten sowie einer damit zusammenhängenden veränderten Erwartungshaltung der Öffentlichkeit. Die in der Ministerratsvorlage last minute ergänzte Bezeichnung als „Günstiger-Strom-Gesetz“ ist hierfür exemplarisch, ebenso wie die Vielzahl gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen, die im Gesetz verankert wurden.
Klar ist, die Branche steht unter wachsendem Druck, vielfältige und teilweise widersprüchliche Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen: Kosten sollen gesenkt, schutzbedürftige Kundengruppen unterstützt, Versorgungssicherheit gewährleistet und der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben werden. § 7 ElWG nennt zahlreiche Zielsetzungen, verzichtet jedoch auf eine klare Priorisierung, was in der Praxis zu Zielkonflikten und Unsicherheiten in der Umsetzung führen wird.
Gerade aufgrund dieser politischen Umstände lag auch beim letzten Begutachtungsentwurf im Juli 2025 ein starker Fokus auf dem Passus zum Preisänderungsrecht (§ 21 Änderung der Allgemeinen Lieferbedingungen und Entgelte), welcher Unsicherheiten sowohl für Energieversorger als auch Kund*innen aus der Welt schaffen, jahrelange Rechtsstreitigkeiten beenden und übermäßige Preisanstiege verhindern sollte. Die zahlreichen Stellungnahmen der Branche und Konsument*innenschutzorganisationen haben in der aktuellen Regierungsvorlage zu zahlreichen Nachschärfungen geführt. Neu ist, dass Preisanpassungen nun explizit in Relation zu Gewinnmargen und energiewirtschaftlichen Deckungsbeitragsrechnungen zu setzen sind. Das birgt das Risiko, dass Kostenfaktoren außerhalb der Gewinnkalkulation nicht mitberücksichtigt werden.
Gemeinsam mit dem ElWG hat die Regierung auch eine Anpassung des Preisgesetzes in den Nationalrat geschickt. Damit soll die Ausnahme für Strom und Gas im Preisgesetz fallen und der E-Control im Falle eines begründeten Verdachts, das Recht gegeben werden, zu prüfen, ob Strom- oder Gaspreise ungewöhnlich stark über der internationalen Entwicklung liegen und auf ungerechtfertigte Preispolitik zurückzuführen sind. Sollte das der Fall sein, wird der Regierung die Möglichkeit gegeben, im Krisenfall für sechs Monate befristet in die Preise einzugreifen. Ob dies EU-rechtskonform ist, ist allerdings umstritten. Die Änderung des Preisgesetzes stellt – vorbehaltlich einer Zweidrittel-Mehrheit – die Vorbereitung auf den angekündigten aber nicht näher definierten Energiekrisenmechanismus dar, den die Regierung ebenfalls bis Ende des Jahres vorstellen möchte.
Ebenfalls in Zusammenhang mit gestiegenen Energiekosten steht die Einführung des geplanten Sozialtarifs (§ 36-38 Gestützter Preis für begünstigte Haushalte), welcher vielfach diskutiert und im Mittelpunkt zahlreicher Stellungnahmen stand. Er soll besonders gefährdete Gruppen entlasten. Der Text stellt einen deutlichen Kompromiss dar. Die Regeln für die Berechnung bleiben jedoch äußerst vage. Sie basieren auf einem vorgeschriebenen Preis von 6 Cent pro Kilowattstunde, sowie einem oberen Referenzwert, der ausschließlich den Großhandelspreis widerspiegelt. Grund- und Gemeinkosten bleiben unberücksichtigt, sodass der Sozialtarif die tatsächlichen Kosten keinesfalls realistisch widerspiegeln kann.
Neben den reinen Energiekosten ist die Verteilung und Dämpfung der Kosten des für die Energiewende notwendigen Netzausbaus Herzstück des ElWGs. Auch hier gibt es gegenüber dem letzten Begutachtungsentwurf zahlreiche Änderungen: § 128 sieht vor, dass Einspeiser hinsichtlich der ersten 7 kW netzwirksamer Leistung vom Netznutzungsentgelt befreit werden, während gleichzeitig Anreize für den systemdienlichen Betrieb gesetzt werden. Die Kritik der Branche an dieser neuen Netzentgeltkomponente bleibt aufgrund der Unvorhersehbarkeit aufrecht. Eine zuvor diskutierte Referenz auf EU-Vorgaben, die eine gewisse Richtung hinsichtlich der Höhe des Netznutzungsentgelts gegeben hätte, ist in der Ministerratsvorlage vom Gesetzestext in die Erläuterungen gewandert.
Das Netzanschlussentgelt (§ 130) für neue und geänderte Anlagen bringt für Stromerzeugungsanlagen auf Basis erneuerbarer Energieträger eine Neuerung. Die Netzanschlusskosten werden nach Anlagengröße gestaffelt, steigen im Vergleich zum ElWOG jedoch um etwa 30%. Anlagen, die sich durch ihren Betrieb oder Standort systemdienlich verhalten oder an einem Standort mit hoher verfügbarer Kapazität errichtet oder erweitert werden, können hingegen eine Reduktion des Entgelts um dreißig Prozent erhalten. Auch in puncto Netzanschlussentgelt gilt eine Befreiung für Einspeiser unter 7 kW.
Die geplante Spitzenkappung von Wind- und PV-Anlagen (§ 101) soll Erzeugungsspitzen reduzieren und damit die Belastung des Netzes systemdienlich verringern. Da das Netz nicht auf die Maximalleitung ausgelegt werden muss, können so künftig mehr Anlagen an’s Netz genommen werden. Dies soll auch möglichen “Anschlussstopps” entgegenwirken.
Neben mehreren Anpassungen, etwa der Begrenzung der PV-Einspeisung auf sechzig Prozent der Leistung, wurden Ausnahmen vorgesehen, unter anderem für kleine Anlagen bis sieben Kilowatt oder für Anlagen mit zusätzlicher Direktleitung. Darüber hinaus werden die ohnehin systemdienlichen Hybridanlagen in dieser Bestimmung besonders berücksichtigt.
Um die dynamische Spitzenkappung zu ermöglichen, haben Netzbetreiber die Ansteuerbarkeit von Anlagen (in Abhängigkeit der netzwirksamen Leistung) bis spätestens 2030 herzustellen.
Die Übertragung von Viertelstundenwerten der Smart Meter wird bis 2027 zum Standard. Ausgenommen davon sind Zählpunkte mit einem Jahresverbrauch unter 1.500 kWh, es sei denn, sie wählen das freiwillige Opt-In. Dadurch werden Investitionen in die Netze gedämpft und gleichzeitig eine Digitalisierung vorangetrieben sowie eine bessere Datengrundlage geschaffen. Die Werte dürfen auf Anfrage in aggregierter und anonymisierter Form künftig auch Gebietskörperschaften zum Zweck der Energieraumplanung übermittelt werden.
Um sicherzustellen, dass Netzkapazitäten bestmöglich genutzt werden, gibt es neue Regelungen. Neu ist, dass es Anreize dafür geben soll, dass Netzbenutzer reservierte und systematisch nicht genutzte Netzkapazität zurückgeben. Gegen eine Entschädigung unter Berücksichtigung bereits entrichteter Netzanschlussentgelte kann ungenutzte Kapazität auch entzogen werden. Außerdem haben Netzbetreiber ihre verfügbaren und gebuchten Netzanschlusskapazitäten je Umspannwerk (Netzebene 4) und innerhalb von drei Jahren je Transformatorstation (Netzebene 6) nach Erzeugungstechnologie getrennt auszuweisen. Die Planungsprämissen der Verteilnetzentwicklungspläne sind künftig der APG zu übermitteln und die Stellungnahme dieser besonders zu berücksichtigen.
Wohl angesichts der Budgetsituation gibt es auch eine neue Bestimmung in den Pflichten der Netzbetreiber: Diese werden angehalten, verfügbare europäische und internationale Förder- und Finanzierungsinstrumente in vollem Umfang in Anspruch zu nehmen.
In der Kosten- und Mengenermittlung, der Basis der Regulierung, wird nun die gestreckte Abschreibungsdauer verankert, die Regulierungsbehörde soll zusätzlich Festlegungen zu einer angemessenen Normkapitalstruktur zu treffen.
Zusätzlich zu diesen politisch heiklen Themen wurden in mehreren weiteren Bereichen substanzielle Anpassungen, redaktionelle Korrekturen und terminologische Präzisierungen vorgenommen. So wurden unter den Begriffsbestimmungen (§6) neue Definitionen für hybride Stromerzeugungsanlagen und systemdienliches Verhalten geschaffen. Ebenso wurde das Verhältnis zwischen Energieversorgern und Energiegemeinschaften klarer geregelt. Darüber hinaus wird vorgesehen, dass Verbrauchs- und Abrechnungsinformation über eine kundenfreundliche Website oder Web-Portal bereitgestellt werden können. Wie schon in den Begutachtungsentwürfen sind insgesamt im Bereich der Kund*inneninformation erhebliche Verbesserungen gelungen. Neu ist etwa, dass für Informationsblätter von Kund*innen Musterformulierungen der E-Control heranzuziehen sind, was Unklarheiten reduzieren und ein einheitliches Informationsniveau gewährleisten soll.
Die gemischten Reaktionen auf die Regierungsvorlage zeigen, dass noch beträchtliche Verhandlungsarbeit auf die Bundesregierung zukommt, um die für einen Beschluss im Nationalrat erforderliche Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Dafür ist die Zustimmung zumindest einer Oppositionspartei nötig. Soll das ElWG wie angekündigt noch im Jahr 2025 verabschiedet werden, bleibt bis zur Plenarsitzung in der zweiten Dezemberwoche Zeit, um die notwendige Überzeugungsarbeit zu leisten und gegebenenfalls weitere Anpassungen vorzunehmen.
Der aktuelle Entwurf beseitigt zwar mehrere Schwachstellen aus der Begutachtung, doch in zentralen Bereichen bleibt die Kritik bestehen. Die Gesamtbelastung für Erzeuger wird durch neue Netzentgeltkomponenten und die direkte Mitfinanzierung des geplanten Sozialtarifs steigen. Das erhöht die Kosten der heimischen Erzeugung, erschwert den Markteintritt neuer Anbieter und begünstigt Stromimporte, die keine direkte Wertschöpfung im Inland erzeugen. Sowohl beim Preisanpassungsrecht als auch beim Sozialtarif sollten die gesamten Kosten einbezogen werden, um realistische Preisannahmen sicherzustellen und zusätzliche bürokratische Belastungen zu vermeiden. Zudem stellt sich die Frage, ob das Framing als “Günstiger-Strom-Gesetz" nicht zum politischen Eigentor werden könnte, da rasche Preisreduktionen angesichts der Lage auf internationalen Energiemärkten und des hohen Investitionsbedarfs im Energiesystem kaum zu erwarten sind.
Diese Herausforderungen fallen in eine Zeit, in der die österreichische Stromwirtschaft mitten in der umfassendsten Modernisierung seit Jahrzehnten steht. Für ein Projekt dieser Größenordnung braucht es eine klare, funktionale und langfristig tragfähige rechtliche Basis. Genau hier entscheidet die Ausgestaltung des ElWG darüber, ob der Umbau des Energiesystems effizient, planbar und investitionsfreundlich gestaltet wird oder ob unklare Vorgaben und steigende Kosten zu Verzögerungen und Unsicherheiten führen.

Public Affairs Experte

Public Affairs Expertin Energie I Stv. Leitung